Eine Online-Redakteurin, die das journalistische Handwerkszeug nicht kennt? Das darf es nicht geben! Hier erfahren Sie, was besonders wichtig ist.
Als Online-Volontärin im Haifischbecken der Print-Redakteure? Ganz so ist es mir im Volontärskurs in Hamburg natürlich nicht ergangen. Allerdings sind mir erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Medien klargeworden – ebenso Gemeinsamkeiten, was das journalistische Handwerk betrifft. Warum ich die Grundlagen im Online-Bereich genauso beherrschen muss, erfahren Sie hier.
Online vs. Print?
Jeder einzelne Teilnehmer des Volontärskurses an der Akademie für Publizistik in Hamburg stellt in der morgendlichen Konferenz seine Redaktion vor. Viele von ihnen arbeiten klassisch im Printbereich – in Lokal- oder Tageszeitungen. Ich bin eine der wenigen Anwesenden, die rein in einer Online-Redaktion tätig ist. Im direkten Vergleich merke ich schnell, dass in vielen der vorgestellten Redaktionen der Online-Auftritt nur stiefmütterlich behandelt wird: „Wir machen das immer so nebenbei“ oder „Print-Texte landen unverändert auf der Website“, bekomme ich da zu hören. Ein bisschen stellen sich mir dabei die Zehennägel auf. Gleichzeitig herrscht viel Skepsis gegenüber den Kollegen, die sich ihre Inhalte aus dem Internet „zusammenschreiben“ und „nur auf Klicks“ aus sind – also auch mir gegenüber.
Tatsächlich geht es beim Online-Journalismus darum, Reichweite für die eigene Seite zu schaufeln. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich gar nicht so stark vom Print-Bereich, denn auch hier wollen Redakteure die Auflagezahl ihrer Zeitung erhöhen. Jedoch handelt es sich bei Print-Zeitungen um ein Push-Medium. Das heißt, wer sich eine Zeitung kauft, will diese in der Regel auch lesen. Deshalb bleibt den Redakteuren zum Beispiel mehr Kreativität bei der Formulierung ihrer Überschriften.
Im Online-Bereich muss ich als Autorin den Leser jedoch erst einmal dazu bringen, meinen Text lesen zu wollen. Es ist ein Pull-Medium. Ich schreibe also ganz anders, um die Auffindbarkeit meiner Artikel im Netz zu erhöhen. Im Vordergrund steht immer der Mehrwert des Lesers. Und diesen vermittle ich nicht nur über Inhalte, die die Zielgruppe begeistern, sondern auch über eine ansprechende Schreibe. Denn das Internet ist zwar ein schnelles Medium, aber die Qualität muss trotzdem stimmen. Die Basis – das journalistische Handwerkszeug – verfeinere ich über vier Wochen in diesem Kurs.
Journalistisches Handwerk: Der Küchenzuruf muss sitzen
Auf dem Seminarplan stehen Reportage, Kommentar sowie Teaser und Bildunterschriften texten. Ein paar dieser Textgattungen habe ich noch nie bedient – andere wiederum sind für mich bereits redaktioneller Alltag. Höchste Zeit also, dass ich mir die wichtigsten Grundlagen für einen leserfreundlichen Text noch einmal verinnerliche. Er soll
- verständlich,
- einheitlich,
- nachvollziehbar,
- korrekt,
- interessant und
- so kurz wie möglich sein.
Die Kriterien klingen zunächst recht einfach. Doch im Kurs erfahren wir am eigenen Leib, wie schwierig es ist, alle diese Punkte zu beachten. Denn zu einem verständlichen Text gehört ein roter Faden, zu einem interessanten Text ein knackiger Einstieg. Das Stichwort ist hier der Küchenzuruf. Heißt: Kann ich die Aussage meines Textes in einem kurzen Satz zusammenfassen? Und wenn nicht: Fehlt es meinem Artikel an einem klaren Fokus? Hapert es schon an dieser Stelle, liegt das Problem in der Struktur des Textes.
Die Struktur ist klar: Jetzt nehmen wir den Stil „unter die Lupe“
Sobald das Gerüst steht, geht es an den Stil. Und wenn Redakteure eines gut können, dann ist es, sich in sprachlichen Ergüssen zu verrennen. Wie schnell das passiert, möchte ich an drei klassischen Beispielen aus der Praxis aufzeigen:
Beispiel 1:
„Tauziehen bis zum Schluss“ Überschrift, Welt.de, 20.11.2017
Der Haken: Bildhafte Sprache ist eine Sache – doch abgedroschene Floskeln wie „tauziehen“, „nach Strohhalmen greifen“ oder „Tacheles reden“ sind so abgegriffen, dass sie jegliche Bedeutung verloren haben.
Beispiel 2:
„Mithin wird dieser Streik, der zu vermeiden gewesen wäre, hätte man entweder den Schlichterspruch von 5,4 Prozent bei verlängerter Tariflaufzeit oder das Arbeitgeberangebot von 4,8 Prozent bei erhöhten Sockelbeträgen zu Gunsten der niedrigen Lohn- und Gehaltsstufen akzeptiert, voll auf dem Rücken der Bürger ausgetragen.“ Süddeutsche Zeitung
Der Haken: Ganze 251 Zeichen lang braucht es, bis der Leser die Pointe erfährt. Hier muss dringend der Schachtelsatz aufgelöst werden.
Beispiel 3:
„Eine optimale Umsetzung sollte aber eigentlich auch bei anderen Vereinen als Borussia Dortmund möglich sein.“ Manager Magazin, 05.09.2014
Der Haken: Füllwörter wie „eigentlich“, „aber“ oder „auch“ ziehen den Text unnötig in die Länge. Zudem verändern sie nichts am Sinn.
Die Arbeit an diversen Textbeispielen hat mir und den anderen Kursteilnehmern eigene Marotten bewusst gemacht. Gleichzeitig lese ich nun Beiträge von anderen Autoren mit einem viel kritischeren Auge, erwische mich dabei wie ich journalistische Texte gedanklich auseinandernehme und Lehren für mich selbst daraus ziehe.
Online & Print – Kollegen auf Augenhöhe
Obwohl der Volokurs sehr printlastig ist, war ich keinesfalls fehl am Platz. Denn die Kriterien, die ich an die Hand bekommen habe, beschränken sich nicht auf das Printwesen – sie lassen sich eins zu eins auf den Online-Bereich übertragen. Hier sind sie sogar noch entscheidender: Denn der Web-Nutzer liest seine Texte nicht – er überfliegt sie. Deshalb müssen Online-Redakteure noch akribischer als Print-Journalisten
- die Aussage ihres Artikels auf das Essenzielle herunterbrechen,
- unnötige Wörter und Floskeln streichen,
- Füllwörter herausnehmen,
- Verben statt Adjektive oder Substantive verwenden,
- Bandwurmwörter kürzen,
- Fachbegriffe erklären,
- dass-Sätze auflösen,
- sparsam mit Metaphern umgehen,
- Schachtelsätze auseinandernehmen und
- den Text mit Zwischenüberschriften strukturieren.
Nur so hat der User ein angenehmes Leseerlebnis und entscheidet sich vielleicht dazu, die Seite öfter zu besuchen. Und das ist ein Ziel, dass auch Print-Redakteure mit ihrem Blatt verfolgen.
Fazit: Voller Zuversicht in die Zukunft
Die Zeit in der Hansestadt war sehr lehrreich für mich – nicht nur, was das journalistische Handwerkszeug angeht. Ich habe mit viele tollen Menschen eine unvergessliche Zeit verbracht, Kontakte geknüpft und meine Liebe zu Hamburg entdeckt.
Und obwohl der Online-Bereich von den Print-Kollegen noch recht kritisch beäugt wird, bin ich mir sicher, dass ich dort, wo ich bin, richtig bin. Denn es bieten sich mir zahlreiche Möglichkeiten, Inhalte aufzubereiten: Ich erstelle in meinem Redaktionsalltag Umfragen zu Texten, baue Bildergalerien zusammen und verbreite sie in sozialen Netzwerken. Zudem bekomme ich praktisch in Echtzeit das Feedback meiner User – und reagiere gezielt auf deren Wünsche, um den Mehrwert meiner Artikel zu erhöhen. Ich kenne meine Zielgruppe und weiß, sie zu begeistern. Und dank meiner Zeit im Hamburg beherrsche ich auch die notwendige handwerkliche Grundlage dafür.